Zufriedenheit im Familienalltag

Jenseits meiner Grenzen der weite Horizont

Katharina Weck hat eine bewegende Lebensgeschichte. Ihr damals 5-jähriger Sohn erkrankt an Leukämie und ihr Familienalltag wird dadurch von heute auf morgen völlig auf den Kopf gestellt. Nebst tiefster Ungewissheit und großer Lebensfragen lernt sie die Tugend der Achtsamkeit. Wie sie nebst Alltagschaos auf Zufriedenheit stößt, das erfährst du in diesem Interview.

Sie haben schon mal ein Buch geschrieben. Wie unterscheidet sich das zweite Buch zum ersten?

Katharina Weck: Das erste Buch geht mir näher als mein zweites Buch, auch wenn es beides Herzensbücher sind. Das erste Buch, «Der Chemoritter am Küchentisch», ist sehr biografisch, darin beschreibe ich unsere Geschichte. Es geht um die Krebserkrankung unseres damals 5-jährigen Sohnes. Ich beschreibe darin tagebuchartig 1 ½ Jahre der Behandlung und habe mir gewisse Fragen gestellt und auch nach Antworten gesucht, wie man dieses Leid aushalten soll. Diese Antworten habe ich in ein Buch gepackt.

Das jetzige Buch ist vom Stil her ähnlich, denn ich drücke mich einerseits sehr klar und authentisch aus, aber andererseits auch weich und hoffnungsvoll. Hören zu dürfen, dass es Schmerz und Leid und nicht immer Hoffnung in dieser Welt gibt –das ist etwas, was viele Leute anspricht. Und dennoch kann man die Augen offenhalten und schöne Momente wahrnehmen.

Das Buch «Jenseits meiner Grenzen der weite Horizont» ist keine Fortsetzung des ersten Buches, und dennoch kann ich das Buch nicht losgelöst vom ersten betrachten. Meine Texte gründen in meiner Geschichte, damit haben sie begonnen. Im neuen Buch erzähle ich Alltagsgeschichten, aber nicht nur meine eigenen. Es sind Geschichten, die ich von Freunden, Verwandten und Fremden mitbekomme. Der Alltag spielt immer noch eine große Rolle, aber es ist nicht mehr so auf uns fokussiert. Ich schreibe mit dem Blick: «Was passiert um uns herum?» und mit dem Gedanken: «Es muss nicht alles gut sein, um gut zu sein.» Darin ähneln die beiden Bücher sich, aber trotzdem ist es nicht mehr so nah an mir dran. Ich konnte in den letzten zwei Jahren von mir weg wieder aufschauen und schauen, was passiert.


Ihre Alltagslage damals war sehr herausfordernd und hat Ihnen und Ihrer Familie viel Kraft gekostet. Wenn Sie darauf zurückblicken, was bedeutet das Wort «kämpfen» für Sie?

Sich entscheiden. In jeder Biografie gibt es normalen Schmerz, Trennungen, Verletzungen usw. Aber das eigene Kind leiden zu sehen und so lange eine Ungewissheit auszuhalten, ob er weiterlebt und wie unsere Zukunft aussehen wird, ist etwas anderes. Ich hatte gar keine Idee, was da kommt. Wir als Familie mussten einfach im Moment leben. Das bedeutet schwach sein, alles blöd finden, sich verkriechen, nicht mehr wollen und auch wütend auf Gott sein. Das bedeutet, sich fragen zu dürfen, warum ein Kind, was so unschuldig und rein ist, Krebs entwickeln kann? Das muss man spüren dürfen.

Auf der anderen Seite heißt kämpfen, dass man hineinstolpert und reagiert. Am Anfang hatte ich den Leitsatz: «Wir kämpfen, wir bleiben die gleichen.» Ich bin aber ziemlich schnell an den Punkt gekommen, wo ich gemerkt habe, dass das gar nicht geht. Ich kann gar nicht die gleiche Mutter und Frau bleiben durch diese schmerzhafte Erfahrung. Dennoch gab es den Punkt, an dem ich wusste: Ich muss mich echt entscheiden. Ich muss morgens aufstehen und mich fragen: «Kann ich heute kämpfen? Möchte ich heute kämpfen? Wer kämpft mit mir?» Kämpfen heißt für mich entscheiden.

Wenn ich entscheide, wer an meiner Seite ist, dann ist das auch Gott. Ich bin Christin. Ich glaube an Gott, ich glaube an Jesus. Und da auch immer wieder neu zu sagen: «Heute finde ich dich blöd, ich will dich aber. Ich habe verstanden: Diese Welt ist nicht gut. Du bewahrst mich nicht von diesem Leid, nur weil ich an dich glaube, Gott. Aber du zeigst dich in Form von Menschen, in Form von Essen, in Form von guten Serien.» Das sich immer wieder zu vergegenwärtigen, das ist auch kämpfen.

Das bedeutet, kämpfen ist für Sie aktiv und auch passiv?

Im christlichen Kontext gibt es oft eine Erwartungshaltung, dass man, weil man an Gott und an einen Himmel glaubt, sich stark fühlen müsste. Aber ich habe gemerkt, dass ich noch nie so eine intensive Art der Beziehung zu Gott hatte, wie in dieser Zeit, weil es war wie in einer Partnerschaft. Gott war mir so nah. Ich habe so viel kapiert. Und es gehörte auch dazu, sauer zu sein und zu schmollen.

Ich habe zudem den Kontakt zu anderen Autoren gesucht, die schon längst tot sind. Ich beschäftigte mich ganz lang mit Bonhoeffer. Und da sind Sätze drin, die könnte mir hier auf der Erde keiner sagen. Und das hat mich immer direkt getroffen und mich motiviert zu kämpfen und die Beziehung zu Gott aktiv zu halten.

Wie viel kann man in Ihrer Situation noch an Veränderung und Heilung glauben und wie viel ist es das Akzeptieren und Annehmen von dem, was jetzt gerade vor einem ist? Kann das beides zusammen gehen?

Es ist charakterabhängig. Für mich war der Weg verbunden mit vertrauen und loslassen. Natürlich musste ich trotzdem aktiv handeln. Loslassen bedeutet ja nicht, dass ich sage: «Gott heilt unser Kind. Ich möchte ihn nicht behandeln lassen.» Das wäre eine sehr radikale Art des christlichen Glaubens. Dennoch könnte man gewisse Teile aus der Bibel finden, die zum Loslassen auffordern.

Für mich war die Rettung und auch die Kunst, immer wieder zu schauen: Wo lass ich los? Wir haben zum Beispiel Pizza gegessen und rumgealbert mitten in der Behandlungszeit, weil wir nicht wussten, wie lange mein Sohn noch lebt. Wir waren witzig und haben viel zu viel gegessen, weil jetzt war jetzt. Das bedeutete für mich loslassen. Am nächsten Tag bin ich wieder in die Kinderonkologie gefahren und habe dort 5 Stunden mit meinem Sohn gewartet und ihm Micky Mouse Hefte gekauft.

Als Christ darf ich prüfen, wie viel ich abgeben kann. Und das habe ich definitiv damals besser gemanagt als jetzt. Durch die Angst wusste ich sehr schnell: Das gebe ich an Gott ab. Ich hab so viel gemacht, wie ich kann. Aber wenn Gott sagt: «Dieses Leben ist nicht zu retten», dann gebe ich das in seine Hände. Wenn ich an zu viel festhalte, habe ich keine Kraft mehr für Leben. Und Kinder wollen keine Eltern haben, die völlig aufgerieben sind. Das war mein Fels, mir immer wieder die Fragen zu stellen: «Wo handele ich? Wo gebe ich ab?» Wenn man eine Zufriedenheit auf wackligem Untergrund schaffen kann, dann gibt das Durchhaltevermögen. Man kann sich entscheiden, ohne gerichtete Krone wieder aufzustehen und auf wackeligen Beinen zu stehen. Der Wendepunkt liegt in der Entscheidung, wer man nach einem Schicksalsschlag sein möchte.

 

Darf man als Mama und Papa Angst haben und überfordert sein?

Auf jeden Fall. Anders geht es gar nicht. Als wir vor 10 Jahren unser erstes Kind bekommen haben, hatte ich das Gefühl, er wird mein bester Freund. Ich habe aber ziemlich schnell gemerkt, dass das überhaupt nicht meine Rolle ist, die Freundin meiner Söhne zu sein. Ich bin jemand, der sie begleitet und auch mal lenken muss und nachts aufsteht. Aber ich bin nicht ihre Freundin. Ich darf überfordert sein und nicht jedes ihrer Bedürfnisse stillen. Ich war noch nie so überfordert, wie in den letzten 10 Jahren. Seit ich Mutter bin, habe ich mich öfters gefragt: «Was mach ich denn hier?»

In meinem neuen Buch gibt es einen Text, der davon handelt, dass ich mich verkrieche mit meinem Zynismus und meiner Wut. Dann werde ich jedoch herausgelockt und gehe spazieren. Ich schaue auf den Boden und jemand rempelt mich an. Als ich hochschaue, steht Gott vor mir. Er erzählt mir von Selbstliebe und ist empört, warum ich mich nicht lieben kann – nur weil ich als Mutter fehlerhafte Entscheidungen treffe oder weil ich mal überfordert bin. Oder besorgt bin und Angst habe in dieser Welt. Das ist für Gott kein Grund. Er hat mir doch versprochen, er liebt mich immer. Den Text habe ich letztes Jahr im Lockdown geschrieben, wo ich das Gefühl hatte, ich mache hier nichts richtig. Jeden Abend saß ich da und dachte, es bricht alles zusammen. Ich musste es mir aufschreiben und mir vergegenwärtigen: Gott liebt mich. Ich muss nicht so hart mit mir ins Gericht gehen. Wenn ich selber mit mir ins Gericht gehe, dann gehe ich auch mit anderen hart ins Gericht. Und dann kommt etwas ins Rollen, was ganz unangenehm wird. Dann ist Elternschaft vor allem Angst und Überforderung! Dann fehlen die schönen Zwischentöne.

Ist Ihr Buch denn nur für Familien geschrieben?

Nein, das ist es nicht. Es geht elementar um Nächstenliebe und Zwischenmenschlichkeit. Durch die verschiedenen Erzählungen bin ich mir sicher, dass für jeden etwas dabei ist. Es ist mein Herzenswunsch, dass jeder so einen Moment hat und sich ermutigt fühlt durch meine Texte, die zeigen: «OK, die bekommt es anscheinend auch nicht hin und das ist in Ordnung so!»

Kann man Zufriedenheit lernen?

Ja, das ist ähnlich wie mit dem Kämpfen. Ich bin zum Glück ein optimistischer Mensch, aber auch mein Optimismus war irgendwann erschöpft. Wir mussten uns nach der Krebsbehandlung meines Sohnes sehr erholen, um wieder aufstehen zu können. Wir haben auch jetzt noch viele Sachen nicht so richtig bearbeitet. Aber ich brauche Zufriedenheit, um eine Ruhe daraus zu gewinnen, um meinen Alltag mit den Kindern zu gestalten. Mein Mann und ich, wir tragen ja eine Verantwortung. Ohne Zufriedenheit Kinder zu erziehen ist wahnsinnig schwierig. Ohne Zufriedenheit ist alles schwieriger!

Ich habe mir ein Buch gekauft von einem Sportler, der beschreibt, wie man mit dem eigenen Körpergewicht trainieren kann. Ich sagte zu meinem Mann: «Alle schreien hier unten, aber ich gehe 30 Minuten hoch. Punkt.» Ich sah völlig bescheuert aus, aber es zwang mich zu einer Routine. Sport mag ich sowieso. Man muss nichts tun, was man nicht mag. Ich habe gemerkt, dass ich mich schnell stärker fühlte und mein Bizeps gewachsen ist. Ich mache das auch immer noch, bevor die Kinder morgens aufstehen. Das ist eine Zufriedenheit, die ich erlernt habe. 

Mein Buch gibt Impulse, wie man in Zufriedenheit wachsen kann. Wenn man weiß, was einem gut tut, dann kann man für sich selbst sorgen. Ich gerate schnell, wenn ich unzufrieden bin, in so eine Endlosschleife: «Ich bemuttere hier alle, ich kümmere mich um alles.» Mein Mann ist genauso genervt, aber eigentlich denke ich, könnte er auch ein bisschen mehr tun. Doch nicht er ist für meine Zufriedenheit zuständig, sondern ich. Ich muss mich um meine Selbstzufriedenheit kümmern, für mich selber, aber auch aus Respekt zu den Menschen, mit denen ich lebe. Manchmal koche ich mir morgens einen Tee in einer schönen Thermoskanne, damit ich ihn nachmittags genießen kann. Mit der Teetasse in der Hand muss ich mich nicht mehr so fremdbestimmt fühlen, sondern es funktioniert, mich mit kleinen Dingen zufriedenzustellen. Es gibt Möglichkeiten – man muss nur in sich hineinhorchen und sich fragen: «Was mag ich denn im Leben?»

Wahlmöglichkeit ©Katharina Weck

 

Was bedeutet für Sie ein vollkommener Alltag?

Vollkommen in meinem Mutterleben wäre tatsächlich, wenn alle um mich herum wuseln, aber niemand was von mir möchte und ich ein gutes Buch in der Hand halten darf. Das ist für mich vollkommen. Wenn ich dann noch über das Buch schreiben darf, da ich immer wieder auch Bücher bewerbe, wäre das perfekt. Also ein bisschen lesen und denken, ohne mit Fragen unterbrochen zu werden.

Vollkommen bedeutet für mich aber auch, auszuhalten und nicht nach einem «So wäre mein perfektes Ich» zu streben. Es bedeutet, jetzt schon zu sagen: «So wie ich bin, bin ich in Ordnung.» Das ist die erlernte Zufriedenheit. Manchmal kann man sich nicht in dem Maß um sich kümmern, wie man das möchte. Und das ist auch ok. Dinge sind nicht erst gut, wenn ich angekommen bin, weder beruflich noch beziehungstechnisch. Im Moment leben und sich selbst durch diesen göttlichen Blick zu sehen, das gelingt mir nicht jeden Tag. Ich habe immer wieder Erkenntnisse, aber ich lebe bestimmt nicht alles so wie ich es schreibe. Bei uns geht es auch drunter und drüber. Dennoch ist dieses Grundgerüst da, weil ich an Gott glaube. Weil ich glaube, dass es das Gute gibt – dass diese Welt schlecht ist, aber der Mensch im Grunde gut. Gott ist gut, und das ist quasi die Basis, die ich immer wieder benutze. Die ist mal fester und mal weniger fest und auch das ist in Ordnung.

Man kann sich entscheiden, zufrieden zu sein, und muss sich keine Ohrfeige geben an Tagen, wo es nicht geht. Das ist menschlich, das ist Leben und Entwicklung. Je mehr Kinder ins Haus kamen, desto weniger ernst habe ich die Dinge genommen. Ich bin super perfektionistisch, aber in so einer Familie kann man sich noch so viel Mühe geben beim Abwischen der Küchenzeile – eine Minute später isst dort jemand ein Hanuta. Es wird wieder dreckig werden. Ich wünsche dir und mir, dass wir den Blick nicht verlieren, dass es dennoch ein gutes Leben sein kann, wenn die Basis stimmt!

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