Írisz Sipos: Transgender aus christlicher Perspektive


In dieser Folge spricht Rebecca Krämer mit Írisz Sipos über das Buch «Transgender. Eine wertschätzende Annäherung aus christlicher Perpsektive» vom amerikanischen Theologen Preston Sprinkle.
Seit vielen Jahren arbeitet die Redakteurin Írisz Sipos zum Thema «Christliche Anthropologie, Gender und Sexualität».

Rebecca Krämer: Wir wollen heute über das Thema «Transgender» sprechen und auch über das Buch von Preston Sprinkle. Er nähert sich dem Thema auf christliche Art und Weise und nimmt dazu Stellung. Diese Thematik ist gesellschaftspolitisch aufgeheizt und gerade brandaktuell, dadurch, dass der Bundestag vor ein paar Wochen das Selbstbestimmungsgesetz verabschiedet hat. Sprinkle versucht, nicht einfach eine konservative Meinung durchzuprügeln. Er setzt sich mit unterschiedlichen Theorien und Theologie auseinander, sowie mit Menschen, deren Lebensrealität stark davon betroffen ist. Iris, warum hast du zugestimmt, mit mir über dieses Buch zu sprechen?

Írisz Sipos: Das ist eine gute Frage, weil das Sprechen über diese Themen immer heikel und herausfordern ist. Man kann sich in die Nesseln setzen und man kann auch richtig falsch liegen. Ich habe mir lange überlegt, ob ich dem zustimme. Aber ich habe deswegen zugestimmt, weil ich «Transgender» für ein ganz kostbares Buch halte. Ich finde, es ist wirklich gut, dass es in deutscher Sprache erschienen ist. Ich hatte es vor zwei Jahren auf Englisch gelesen und meine Gedanken dazu waren folgende: Da beackert jemand Fragen, die auch für uns hier relevant werden – im frommen, evangelikalen Kontext, aber auch darüber hinaus. Ich finde es sehr wichtig, sich dieses Thema neu durch den Kopf gehen zu lassen und sich alle Informationen zu holen, um gute Wege miteinander zu finden, wie wir im christlichen Kontext, in der Gemeinde bzw. in der Gemeinschaft mit Menschen umgehen, die eine Transgender-Geschichte haben.

Sprinkle sagt, dass wir bei dem Thema trotz Hitzigkeit einen kühlen Kopf bewahren sollen, weil wir es mit echten Menschen zu tun haben. Er schreibt in seinem Vorwort, dass bei seiner Recherche ihn das Unrecht, das Transmenschen zugefügt wird, sehr nahe ging. Er schreibt: «Millionen von Homosexuellen und Transpersonen, die in Kirchen und Gemeinden aufgewachsen sind, haben sie später verlassen aus Scham und als Reaktion auf Spott und Verachtung. Viel zu oft hörte ich von ihnen den Satz: Ich bin noch nie einem Christen begegnet, der nett zu mir war.» Írisz, wenn du an die Thematik denkst, was kommt dir sofort in den Sinn? Gibt es Menschen, die du kennengelernt hast, die sich diesem Thema auch persönlich stellen müssen?

Ja ich kenne Menschen, ich kenne inzwischen mehrere Männer und Frauen. Aber ich bin schon erschüttert von dem Satz, den zu zitiert hast. So ein Satz muss uns alarmieren. Es muss uns überhaupt immer alarmieren, egal in welchem Kontext, egal um welche Menschen es geht. Aber insbesondere denke ich in diesem Themenbereich, im Bereich der Sexualität und Geschlecht, die immer auch schambehaftet ist. Die ganz sicher auch problematisch ist. Da ist viel Schmerz, da ist viel Verunsicherung und viele Vorbehalte und Tabus. Es ist unglaublich wichtig, dass wir Christen ein feines Gespür entwickeln und eine große Geduld mitbringen im Zuhören. Nicht schon mit fertigen Urteilen, auch nicht mit guten Ratschlägen zur Seite stehen, sondern uns erstmal kundig machen.

Dafür finde ich das Buch hilfreich, um in die Thematik tiefer einzusteigen und zu sehen, dass es unterschiedliche Geschichten gibt und ganz unterschiedliche Ansätze, an dieses Thema ranzugehen. Sprinkle geht vor allem einer Frage nach, die ich auch als zentral achte. Es ist die Frage: «Wenn jemand eine Inkongruenz zwischen seinem biologischen Geschlecht und seinem inneren Selbstempfinden erlebt, woran entscheidet sich dann, wer er ist und warum?» Das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Es gibt verschiedene Ansätze, wie man sich der Frage nähern kann. Eine Frage, die sich davon ableitet, ist: «Gibt es neben dem biologischen Geschlecht auch ein soziales Geschlecht?» Aus was bildet sich unsere Geschlechtsidentität? Kannst du dazu Sprinkles oder deine Meinung darlegen?

Ich weiß nicht, ob Sprinkle da eine Meinung äußert. Er nähert sich der Frage aus verschiedenen Richtungen an und kommt dann zu Konklusionen. Ein Aspekt ist für ihn die theologische Frage: Was ist unser Bild von Gott? Was erfahren wir aus den biblischen Berichten über Gottes Absicht mit den Menschen? Welche anthropologischen Schlüsse können wir ziehen? Und was ist eigentlich Geschlecht? Was erleben wir in unserem Leben und was wird uns gespiegelt in den biblischen Büchern, in den Geschichten, Geboten, Abhandlungen über das Geschlecht? Es ist eine spannende Frage, ob Geschlecht ein fester oder ein fluider Zustand ist, den wir definieren können. Oder, und das versucht er stark zu machen: Hat Geschlecht ein Ziel? Hat es eine Bestimmung? Gibt es ein Telos, das sich nicht erschöpft in unserem Empfinden, sondern in das wir hineingestellt sind? Und wenn es das gibt, woran erkennen wir das?

Und dann kommt er zu der Frage: Was ist der Mensch in seiner Geschlechtlichkeit? In seinem männlichen und weiblichen Empfinden und in seiner Leiblichkeit? Da macht er stark, dass das biblische Konzept von Menschen sich nicht ohne die Leiblichkeit denken lässt. Der Mensch ist ein leibliches Wesen im Gegensatz zu Gott, der ein geistliches Wesen ist. Deswegen wird seine Person, die er ist, die auf Gott und den anderen Menschen ausgerichtet ist, immer geschlechtlich markiert sein. Daran können wir wenig ändern. Wie sich der Mensch dann in der Leiblichkeit im sozialen Raum bewegt, wie er auf sich reagiert und andere auf ihn reagieren, welche geschlechtlichen Performances er vollbringt oder wo er sich darin wiederfindet, das ist nochmal eine andere Frage.

Und die spannende Frage ist, wie du sie gestellt hast: Können wir damit rechnen, dass es ein gesellschaftliches Geschlecht gibt neben dem biologischen Geschlecht? Und ich glaube, da ist die Krux. Wie weit können wir uns entfernen von unseren leiblichen Realitäten? Und welche Möglichkeit haben wir, in diesem Zwischenraum oder in dieser Weite zwischen der leiblichen Realität und unserem Verständnis bzw. Blick darauf und so, wie wir uns verständigen darüber, zu bewegen. Welche Spielräume gibt es noch? Das gilt es auszuloten.

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