Homosexuell und Christ? 6 Bücher im Vergleich

Lesbisches Paar Hand in Hand

 

Die Diskussion ist groß, die Stimmen der Pro- und Kontra-Fraktion laut, und die Ansagen zum Teil überspitzt und emotional geladen: Die Einordnung von homosexuellem Empfinden und seine Bedeutung in der christlichen Gemeinschaft. Rebecca Krämer vergleicht 6 Bücher zum Thema.

Man könnte sagen: Wer sich an das Thema «Homosexualität & Kirche» heranwagt, begibt sich automatisch auf Glatteis! Und doch ist die Beschäftigung damit der Schlüssel zu einem authentischen Diskurs, denn wir bewegen uns zwischen Lebensrealität und Gottesrealität, zwischen Nächstenliebe und Gottgefälligkeit. Manches ist weniger ein Dazwischen und mehr noch reine Definitionssache. Und vieles, doch keinesfalls alles, gründet auf dem Geist, der uns in alle Wahrheit leitet.

 

Eine etwas lange Einleitung

Auch wenn dieses Thema meines Erachtens zu viel Gewicht im Vergleich zu anderen Themen bekommt, ist eine gesunde Auseinandersetzung damit wichtig und ernstzunehmen, wenn wir Jesus Christus nachfolgen und unseren Glauben im Alltag leben möchten.

Das Harren auf Gott, das Bibellesen, das Ringen mit dem Ungewissen, die demütige Haltung und ein mögliches Korrigieren-Lassen – das sind wir nicht nur denen schuldig, die wirklich Leidtragende unseres Urteils werden könnten. Wenn wir mitreden möchten (und das tun meines Erachtens einige, die sich mit dem Wort Gottes und dem Menschen nicht auseinandergesetzt haben), dann beinhaltet das eine Zuwendung zunächst zu Gott und dann auch zu unserem Nächsten. Wer verstehen möchte, der wendet sich zu – zweitrangig welcher Prägung.

Ich muss mich hier selbst kurz unterbrechen! Verstehen passiert auf mehreren Ebenen, und im geistlichen Sinne bezieht das die Herzensebene mit ein. Wichtig ist, dass jede Ebene wachsen darf – deshalb möchte ich dich ermutigen, dass du Gott sowohl dein Herz als auch deinen Verstand zur Verfügung stellst.

Damit möchte ich nicht befeuern, was sowieso als «Trend der Zeit» gesehen wird: Eine Unentschlossenheit dem Thema gegenüber. Nein, ich will dich sogar ermutigen, dir eine Meinung zu bilden – denn das gibt Profil und strahlt deinem Gegenüber Sicherheit aus. Annahme passiert keinesfalls auf einem Wischiwaschi-Fundament.

 

Bücher sind Menschen

Bevor ich mit der Vorstellung der Bücher beginne, möchte ich dich an 3 Fakten erinnern:

  1. Bücher geben selten ein vollständiges Bild ab: Sie beleuchten Teilaspekte aus einem bestimmten Winkel und nähern sich dem Thema mit einer mehr oder weniger subjektiven Herangehensweise! Deshalb lohnt es sich, mehrere Bücher aus verschiedenen Blickwinkeln zu lesen.
  2. Bücher ordnen sich in Genres ein: Eine Biografie ist keine theologische Abhandlung und kann deshalb auch nicht mit dem Anspruch gelesen werden! In meiner Auflistung wirst du Bücher finden mit seelsorgerlichem Ansatz, Biografien, die persönliche Herausforderungen und theologische Erkenntnisse ineinander weben, oder stark theologisch-theoretische Ansätze. Achte darauf, das jeweilige Buch für genau dieses zu lesen, was es ist.
  3. Hinter Büchern stecken Menschen: Da Bücher von Autoren geschrieben sind, die sich nur im Zusammenhang mit ihrer Lebenswirklichkeit betrachten lassen (die sich weiterhin verändert), kann man keinen absoluten Korrektheitsanspruch über ein Buch erheben! Bücher sind Menschen – und Menschen sind immer auf dem Weg.

Ich möchte zu Beginn meiner Auflistung jedem Autor unterstellen, sich WIRKLICH mit dem Thema «(Homo-)Sexualität und Christsein» auseinandergesetzt zu haben, er sowohl seine Erfahrungen als auch seine persönlichen Begegnungen mit Gott einbezogen hat mit dem aufrichtigen Versuch, biblische Zusammenhänge mit der eigenen oder der Lebenswelt seiner Mitmenschen zu vereinen.

Starten wir also ENDLICH mit einer Auswahl aus dem Angebot an Literatur zum Thema:

Weil ich es will – Markus Hoffmann (Hrsg.)

«Weil ich es will» ist eine Sammlung von 39 Lebensberichten von homosexuell bzw. bisexuell empfindenden Männern und Frauen. Markus Hoffmann ist der Herausgeber des Buchs, der dieses im Vorwort als ein «Dialogangebot» bezeichnet. Es hat zum Ziel, Menschen zu Wort kommen zu lassen, die sich nicht in eine vorgefertigte Box packen lassen – Menschen, die ihre Sexualität aufgrund des christlichen Glaubens als konflikthaft wahrnehmen. Jedoch liegt diesem Konflikt fast immer auch eine ungesunde und spannungsgeladene Selbstwahrnehmung in der gleichgeschlechtlichen Partnerschaft zugrunde.

Hoffmann betont, die Berichte seien keine Anleitung für eigene Prozesse und entstammen keiner Fachpsychologie. Sie sind vielmehr ein ehrliches Erzählen eines Weges, den jeder der zum Teil anonym gebliebenen, zum Teil sich unter Vollnamen zeigenden Personen individuell erlebt. Es besteht also kein Wahrheitsanspruch, jedoch der dringende Apell an die Gesellschaft: «Dieses Erleben und diese Wirklichkeit gibt es auch.» Und auch sie wollen gehört werden, wollen vorkommen im Regenbogen-Spektrum.

Beachtlich finde ich, dass an den Berichten nichts verschönert wird. Für mich hat es eine noch tieferliegende Schicht zum Vorschein gebracht: Menschsein. Auf dem Weg sein. Fragen stellen dürfen. Noch nicht angekommen sein zu müssen.

Hier wird keine schnelle Lösung präsentiert und schon gar keine theologische Zuspitzung propagiert. Hier wird vielmehr betont: Lass uns wieder Suchende sein und den Raum schaffen – sowohl in Seelsorge als auch in Gemeinde und Gesellschaft. Und diese Botschaft ist wohltuend. Entschleunigend. Jedoch in gewisser Weise auch unzufrieden stellend. Die Spannung wird nicht, oder nur teilweise aufgelöst.

Den 39 Personen ist es ein Anliegen, dass Menschen ihre homosexuellen Empfindungen anerkennen können, als Grundlage dafür, ihren Umgang damit zu finden, Konflikte zu erkennen und in ihrem Nachdenken darüber nicht gestört zu werden. Um das zu ermöglichen, ist das Buch nützlich für Seelsorge- und Beratungsberufe sowie für Gemeinden, die ihren Horizont erweitern und betroffene Menschen sinnvoll integrieren möchten.

Auch wenn das Buch einen differenzierten Blick verspricht, werden gewisse Personen auch nicht abgebildet – nämlich diejenigen, die ihre Neigung als konfliktarm empfinden. «Weil ich es will» ist jedoch daraus entstanden, die zu Wort kommen zu lassen, die noch nichts gesagt haben. Und das erfüllt dieses Buch allemal. 

 

Gnade ist immer trotzdem – Elisabeth Schulz

Gnade ist immer trotzdem Cover

Im Jahr 2022 erschien das Buch «Gnade ist immer trotzdem» von Elisabeth Schulz. Sie schreibt als gläubige Christin, überzeugte Bibelleserin und aktives Mitglied in ihrer Gemeinde. Das Buch stellt eine ergebnisoffene Auseinandersetzung mit dem Thema dar. Elisabeth, die selbst lesbisch empfindet, beschäftigt sich vor allem mit der zentralen Frage: Ist Homosexualität eine Sünde? Hierbei geht sie detailliert darauf ein, ob das homosexuelle Empfinden und Ausleben unterschiedlich bewertet werden muss. Der Frage nach der Bedeutung von Sünde geht sie theologisch nach und verwendet hierfür einige Bibelstellen.

Schulz sieht sich zwischen zwei Polen positioniert, zwischen «pro Homosexualität» und «kontra Homosexualität». Sie sagt selbst in ihrem Buch: «Es ist als Betroffene kaum auszuhalten, zwischen diesen Fronten zu stehen. Denn mir gelingt es auch nach Jahren nicht, mich einem Pol zuzuordnen.»

Schulz ist Juristin und zieht bedeutungsvolle Vergleiche zu ihrem Job, sowohl, was das Gesetz betrifft, als auch in Bezug auf den gnädigen Richtergott. Mir gefällt, dass sie keiner Bibelstelle ausweicht, die für sie selbst unangenehm sein könnte. Man merkt schon auf den ersten Seiten, dass Schulz viel darin liegt, Klischees abzubauen und ehrlichen Herzens auf die Suche nach Antworten zu gehen. Auch nimmt sie ihre religiöse Identität ernst und versucht nicht, ihre Prägung zu verteufeln. Den selbst erlebten Umgang der Freikirche mit der Thematik Homosexualität lässt sie in ihren Aussagen nicht außen vor – und trifft diese an ihren wunden Punkten.

Schulz hinterfragt den Zweck der damals vorgeschriebenen Regeln des mosaischen Gesetzes, und versteht es als nicht 1:1 übertragbar auf die heutige Zeit. Sie sucht nach Gottes Herz hinter dem Gesetz – ihr Ansatz bezeugt, dass Gott ein lebendiger, sich bewegender Gott ist, und keine Maschinerie. Manche Ansätze, Metaphern und Auslegungen sind mir persönlich in ihrer Konsequenz nicht weit genug gedacht, bilden aber eine gute Basis.

Schulz möchte sich nicht in falscher Sicherheit wiegen, sondern die Wahrheit bei Jesus finden. Ich sehe die Stärke des Buchs darin, den «Zeigefinger-Typ» zu entlarven, der als Pharisäer erzogen mehr Sündenvermeidung als Gottesfurcht lebt. Sie schreibt: «[Es geht nicht] um mein Bemühen, möglichst sündlos zu leben, sondern um mein Bewusstsein, dass ich abhängig von seiner Auferstehungskraft bin […]» Ihr Ansatz ist also eine Re-Fokussierung auf das Wesentliche, auf das Zentrale der Botschaft Jesu, des neuen Bundes. Sie kämpft wieder für das Fundament, auf dem wir alle stehen: Eine göttliche Zusage ohne aber!

«Was ist nun also das Ergebnis auf die Frage, ob homosexuelle Menschen sein dürfen, wie sie sind? Die Antwort ist das Buch von Elisabeth Schulz selbst. Auf den ersten Seiten schreibt die Autorin, dass sie das Buchprojekt begonnen habe, ohne zu wissen, bei welcher Position sie am Ende landet. Und auch dem Leser setzt sie keine ultimative Wahrheit vor. Wegen dieser Offenheit und unabhängig davon, ob man von dieser Fragestellung betroffen ist oder nicht, lohnt sich die Lektüre.» (aus PRO Medienmagazin, Martin Schlorke, 27.01.2022)*

 

Liebe. Total. – David Bennett

Cover Liebe. Total.

Der Australier David Bennett outet sich mit 14 Jahren vor seinen Eltern. Der christliche Glaube ist für ihn eine Bedrohung mit Homophobie-Gefahr, weshalb er sich schon früh als Schwulenaktivist engagiert. Mit 19 Jahren begegnet Bennett auf höchst unerwartete Weise Jesus. Dieser Moment verändert ihn grundlegend!

David Bennett erzählt in «Liebe. Total.» ausführlich seine Geschichte von seiner Abneigung Christen gegenüber zu seiner Gottesbegegnung. Die Biografie ist mitreißend, denn Bennett gibt Einblick in seine Zerrissenheit. Die Veränderung seiner Denkweisen passiert über einen langen Zeitraum und der Leser hat die Möglichkeit, auf authentische Weise mitzuerleben, was in ihm vorgeht.

Bennett steht, ähnlich wie Schulz, zwischen den Stühlen und spricht von einem «dritten Weg». Dieser Weg bedeutet für ihn weder das Verschweigen seiner Neigungen noch ein Absoluthalten. Es bedeutet, seine Identität als schwul anzuerkennen, jedoch nicht gemäß seines Bedürfnisses nach gleichgeschlechtlicher Partnerschaft zu handeln. Es ist ein Buch, an dem sich jeder Christ reibt, der sich zu sehr auf seinem Standpunkt ausruht.

In seinem letzten Kapitel «Gedanken über Homosexualität und Treue im Glauben» fasst Bennett seine Erfahrungen und Erkenntnisse in einem theologischen Fazit zusammen. Bennetts Ansicht hat den Kern in einer übernatürlichen Jesus-Begegnung, dessen Kraft und Auswirkung für den Leser schwierig in Frage zu stellen sind. Die geistliche Dimension seiner Entscheidungen schwächt seine Theologie jedoch keineswegs ab, sondern gibt ihr eine ergänzende Lebendigkeit. Da nicht jeder auf gleiche Weise Gott erfährt, vermute ich, dass dies für den Betroffenen zu einer Hürde werden kann.

«Bennett stellt nicht nur seine Sehnsüchte in das Licht des Evangeliums, sondern auch romantische Ansprüche der Heteros im frommen Umfeld, die den Blick auf die eheliche und die geschwisterliche Liebe im Horizont der Ewigkeit ebenso verstellen. Eine rückhaltlose Hingabe an Jesus Christus bedeutet für Bennett, sich in diese Wirklichkeit mehr und mehr hineinzuleben und im Vertrauen auf Gott Schritte zu gehen, bei denen der Eigenwille nicht das letzte Wort haben muss.» (Dominik Klenk)

 

Vertrautheit wagen! – Ed Shaw 

 Vertrautheit wagen! Cover

Das Buch von Ed Shaw zeichnet sich, wie die anderen Bücher auch, durch seine Authentizität aus – jedoch hat «Vertrautheit wagen!» noch eine weitere Stärke: den Fokus auf die Gemeinde. Das Buch ist dünn und schnell gelesen, hat jedoch Tiefe und ist definitiv nicht nur an homosexuell empfindende Personen adressiert.

Wie die ersten beiden Autoren ist auch Ed Shaw selbst von diesem Thema betroffen und erlebt homoerotische Anziehung. Sein Buch hangelt sich an 9 Fehlannahmen entlang, die sich durch die Überbetonung mancher Ansichten und der kulturellen Veränderung mit der Zeit herauskristallisiert haben, jedoch nicht mehr den biblischen Grundideen entsprechen. Eine Fehlannahme besagt: «Gottgefälligkeit ist Heterosexualität», eine andere: «Eine Familie ist Mutter, Vater und zwei Komma vier Kinder».

An beiden Fehlannahmen ist zu erkennen, wie Shaw das Thema «Homosexualität» nicht einschränkt und kurzfasst, sondern das Verständnis und die westliche Vorstellung von Glück und Vollkommenheit in Frage stellt. Somit macht er nicht nur die Betroffenen zum Gegenstand der schwerwiegenden Thematik, sondern die ganze Gemeindefamilie, die über die Grenzen der privaten Familie hinausdenken sollte, wenn sie Geschwisterlichkeit lebt und Nächstenliebe praktiziert.

Ich hätte gerne mehr aus der Biografie von Ed Shaw erfahren, über seinen persönlichen Umgang mit seinen homosexuellen Empfindungen im Alltag außerhalb der Gemeinde – das würde jedoch seinen Schwerpunkt untergraben und womöglich seine Emotionen, die nicht die wahre Quelle seines Glücks sind, zu sehr ins Licht rücken.

«Ed Shaw nimmt (...) die gesamte Christenheit in die Pflicht und stellt fest, dass die Gemeinde in einem gewissen Maß mitverantwortlich ist, wenn ein Christ mit gleichgeschlechtlicher Orientierung eine schwule Identität und den dazugehörigen Lebensstil annimmt. Man spürt Ed Shaw ab, dass er selbst mit der Thematik ringt und sich fragt, was die Gemeinde tun kann. Wo kann sie Hilfestellung leisten? Wo ist Umkehr notwendig?» (aus jesus.de, Andreas Schmierer, Stand: 02.03.22)*


Homosexualität und christlicher Glaube: ein Beziehungsdrama – Martin Grabe

Homosexualität und christlicher Glaube Martin Grabe Cover

 

Martin Grabe, Chefarzt für Psychotherapie und Psychosomatik, bietet durch seine klare Positionierung zum Thema «Homosexualität» in evangelikalen Kreisen eine neue Blickrichtung an. Er untersucht das Thema aus historischer, psychotherapeutischer und auch theologischer Sicht. Sein Buch «Homosexualität und christlicher Glaube – ein Beziehungsdrama» ist sehr kompakt und in einem Zug zu lesen.

Martin Grabe gebe ich Credits, wenn es um einen seelsorgerlichen Umgang des Themas geht, vor allem mit Betroffenen, und auch als Richtlinie für diejenigen, die mit Betroffenen umgehen lernen. Einer seiner Grundaussagen diesbezüglich habe ich mir im eigenen Buch markiert: «Aus therapeutischer Sicht kann niemand mit dem Selbstgefühl: Ich bin nicht richtig, wie ich bin gesund bleiben. Es ist sehr destruktiv.» (S. 65) Grabes Buch lädt zum Aufatmen für Betroffene ein, weil es Raum schafft, sein zu dürfen und Annahme zu empfangen, die in vielen theoretischen Ansätzen und im theologischen Meinungsaustausch ausbleiben. Menschen, die homosexuell empfinden, fühlen sich in seinen Zeilen willkommen.

Den historischen Ballast, den wir in Bezug auf Homosexuelle immer noch in uns tragen, versucht Grabe zu benennen und loszuwerden. Grabe rät davon ab, das Gewissen als guten Ratgeber zu betiteln, da Vieles hineingelegt wurde, was nicht der Wahrheit entsprechen muss. Ein Wahrheits-Check muss also theologisch passieren – der im Buch nicht ausbleibt, jedoch dazu genutzt wird, den seelsorgerlichen Ansatz zu unterstreichen. Aufgrund dessen und auch aufgrund der Kürze der Betrachtung bleiben in Grabes Werk meines Erachtens wesentliche theologische Dimensionen unvollständig.

«Grabes Buch stellt eine wichtige Frage: Warum tun sich (viele) Evangelikale so schwer mit der Akzeptanz homosexueller Menschen? Dass er das subjektive Leid der Betroffenen ernst nimmt, ist uneingeschränkt zu würdigen. Und der Anspruch, Fragen der Gleichstellung biblisch-theologisch klären zu wollen, weist in die richtige Richtung. Leider wird dieser Anspruch nicht eingelöst. Zu wenig wird im Blick auf homosexuelle Menschen zwischen Empfindungen, Orientierung, Praxis und Identität differenziert […]» (aus afet.de, Prof. Dr. Christoph Raedel, 19. Oktober 2020)*

 

Ist Gott homophob? – Sam Allberry

Ist Gott homophob?

Das 2021 auf Deutsch erschienene Buch «Ist Gott homophob?» von Pastor und Redner Sam Allburry ist ein weiterer Zugang zum Thema «Homosexualität» in Bezug auf die Kirche und den persönlichen Umgang als Christ. Allburry empfindet selbst homosexuell, lebt jedoch ein enthaltsames Leben. Seine Ausführungen im Buch sind eher theologischer als biografischer Natur. Trotzdem kann er durch seine eigene Erfahrung mit einer sanften, nicht verurteilenden Stimme das Thema betrachten.

Sam Allburry unterstützt die moderne Sichtweise auf das Thema Homosexualität nicht. Er redet von einer «hochgradig verdrehten Sicht der westlichen Kultur auf Sexualität» und spricht sich für einen Gott aus, der homosexuelles Verhalten ablehnt. Diese Behauptung wird aber keinesfalls ohne Kontext und nur in Bezug auf Homosexualität verkündet: Allburry zieht sehr viele Bibelstellen zu Rate, benennt die Auslegung anderer und erklärt, auf welchem Hintergrund er seine Auslegung bevorzugt.

Anders als bisher gelesene Bücher bewertet Allburry die Thematik nicht etwa wie ein vergleichbares Streitthema im christlichen Spektrum (wie z. B. das Taufverständnis), sondern für ihn ist – in Bezug auf die Bibel – das Ausleben von Homosexualität grundlegender, das Evangelium betreffend.

Allburry schreibt sein Buch für Christen – Betroffene, aber auch Pastoren und Gemeindeleiter, sowie für Gemeindemitglieder. Eines der 5 Kapitel richtet sich direkt an die Gemeinde und den Umgang mit Christen und Nichtchristen, die homosexuell empfinden. Sein Buch ist weniger emotional untermauert, dafür ein praktischer Ratgeber für jeden, der sich überfordert oder unsicher fühlt und nicht weiß, wie er sich unter homosexuellen Freunden und Bekannten verhalten soll. An einigen Stellen ist mir dieser Ratgeber zu allgemeingültig und simpel – aber das ist bekanntermaßen die Schwäche von Ratgebern: Sie boxen ein.

Allburrys Gedanken-Haus steht, noch stärker als bei den oben erwähnten Büchern, auf einem klaren Fundament. Würde man zu rütteln beginnen, klappt das ganze Haus zusammen. Auf der anderen Seite gibt die Klarheit seiner Worte eine Ordnung und Sicherheit. Ob diese Sicherheit auf Kosten von zu starker theologischer Gewissheit passiert, kann ich nur vermuten. Ich habe noch keine für mich stimmige deutsche Rezension gefunden, die sich kritisch mit seinem Werk auseinandersetzt.

 

Fazit

Mein Horizont hat sich durch das Lesen dieser Bücher erweitert, und auch, wenn sie mir nicht alle ein und dieselbe Antwort bieten, habe ich daraus starke Grundsätze für mich mitnehmen können, die ich gerne teilen möchte: 

  • Es benötigt eine wiederholte Rückbesinnung darauf, dass wir alle von Gottes Auferstehungskraft abhängig sind
  • Das homosexuelle Empfinden hat Konfliktpotential auf mehreren Ebenen und wird individuell gelöst
  • Das Thema braucht sowohl Leitung vom Geist als auch gute, umfassende Theologie
  • In der Auseinandersetzung muss ein viel weitreichender Blick auf die Gemeinde und ihre Verantwortung passieren
  • Betroffene Menschen brauchen offene Arme und Räume ohne Wertung
  • Starke Meinungen zu diesem Thema sind nicht immer gleichzusetzen mit Lieblosigkeit & Ablehnung, sondern entstehen im besten Gewissen aus unterschiedlichen Lebensrealitäten und -erfahrungen

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